Mit Sommersemester 2025 trat Univ.Prof. Michael Winter, BS MFA PhD seine Professur für Klang und Intermedia am Institut für Musikalische Aufführungskunst (Fachbereich Artistic Research) an der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik in Klagenfurt am Wörthersee an. In einem längeren Text gibt er Einblicke in seine wissenschaftliche und künstlerische Arbeit:

„In meiner Tätigkeit als Künstler und Forscher erforsche ich Klang als ästhetisches und epistemisches Medium auf vielfältige Weise, von intermedialen Installationen und kinetischen Skulpturen über Musik, die mit digitalen und akustischen Instrumenten erzeugt wird, bis hin zur Erforschung der Beziehung zwischen Technologie und Gesellschaft. Meine Stücke artikulieren oft und/oder werden durch einfache Prozesse artikuliert, die verschiedene meiner Interessen widerspiegeln, wie z. B. Erkenntnistheorie, Mathematik, algorithmische Informationstheorie und die Geschichte der Wissenschaft. Phänomenologisch betrachtet, denke ich über die Möglichkeit nach, dass alles potenziell programmierbar ist, sogar unsere Erfahrungen.

Angesichts dieser digitalen Philosophie betrachte ich selbst meine offensten Werke als algorithmisch. Auch wenn es nicht immer offensichtlich ist, sind die Überlegungen zur Berechenbarkeit und Erkenntnistheorie ein integraler Bestandteil meiner Tätigkeit. Ich bringe oft erkenntnistheoretische Grenzen mit künstlerischer Praktikabilität in Einklang, indem ich die Grenzen der Berechnung von einem künstlerischen und erfahrungsbezogenen Standpunkt aus betrachte und mit anderen Künstlern, Mathematikern und Wissenschaftlern zusammenarbeite, um Objekte, Ideen und Texte aus verschiedenen Bereichen als strukturelle Elemente in meine Werke zu integrieren. Meine Arbeit zielt auch darauf ab, diskriminierende Konventionen und Hierarchien zu untergraben, indem ich alternative Formen der Präsentation und Interaktion erforsche, oft mit minimalen Mitteln und wenig Information.

Meine Musik und Installationen wurden auf vielen Veranstaltungsorten und auf zahlreichen internationalen Festivals präsentiert, darunter REDCAT in Los Angeles, das Ostrava Festival of New Music in der Tschechischen Republik, das Tsonami Arte Sonoro Festival in Valparaiso, Chile, das Huddersfield New Music Festival im Vereinigten Königreich und Umbral Sesiones im Museo de Arte Contemporáneo in Oaxaca, Mexiko. Aufnahmen meiner Musik wurden von XI Records, Another Timbre, New World Records, Edition Wandelweiser, Bahn Mi Verlag, Tsonami Records und Pogus Productions veröffentlicht. Im Jahr 2008 habe ich the wulf. mitbegründet, eine Organisation in Los Angeles , die sich experimentellen Aufführungen und Kunst gewidmet hat und in acht Jahren über 350 Veranstaltungen präsentierte. Von 2018 bis 2019 war ich Stipendiat / Artist-in-Residence an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart, Deutschland.

Lehre und Forschung waren schon immer ein integraler Bestandteil meiner kreativen Tätigkeit und werden es auch weiterhin bleiben. Seit dem Erwerb eines Master of Fine Arts am California Institute of the Arts und eines Doktorats in Medienkunst und -technologie an der University of California in Santa Barbara habe ich an über 25 Universitäten Vorlesungen gehalten und umfangreich publiziert über algorithmische und computergenerierte Musik, die Verbindungen zwischen Musik, Mathematik, Kommunikationstheorie und Erkenntnistheorie, Kunst und alternative Gemeinschaften und Ökonomien sowie die Arbeit meiner Mentoren und Zeitgenossen.

Derzeit arbeite ich mit dem brasilianischen Mathematiker Felipe Abrahão an einer digitalen Phänomenologie. Durch die Untersuchung von Erfahrung und Subjektivität durchalgorithmische Informationstheorie beweisen wir mathematische Vermutungen, die grundlegende Aspekte und Grenzen der Entstehung von Komplexität, Konsens, Echokammereffekt, Nischenbildung, Auslösung von Innovationen und der Konstitution des Status quo aufdecken. Die Ergebnisse können genutzt werden, um zu verstehen, wie Big Data und die Algorithmisierung sozialer, politischer und wirtschaftlicher Beziehungen im Kontext der heutigen und zukünftigen digital vermittelten Gesellschaft funktionieren.

Trotz des technologischen Fortschritts der letzten 100 Jahre haben sich zwei sehr unterschiedliche Ansichten auf den Stand von Kunst und Technik herausgebildet. Die erste, oft als „postdigital“ bezeichnete Ansicht ist die Überzeugung, dass die digitale Revolution aufgrund der derzeitigen praktischen Beschränkungen (d. h. Verarbeitungsgeschwindigkeit und Speicherplatz) abgeschlossen ist und der Mensch den Maschinen letztlich überlegen ist. Diese Beschränkungen sind jedoch wahrscheinlich nur vorübergehend und weit entfernt von den epistemischen Grenzen der Technologie und der Datenverarbeitung. Die andere Perspektive ist der uneingeschränkte, unerschütterliche Glaube, dass das „Versprechen“ der Technologie zu einer künstlichen Intelligenz führen wird, die die menschliche Intelligenz erreicht und übertrifft und viele der aktuellen existenziellen Krisen der Welt lösen wird.

Um die gesellschaftlichen Auswirkungen der sich entwickelnden Technologien wie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen wirklich zu verstehen, ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: ein Paradigmenwechsel, bei dem die Gesellschaft sich mehr mit der Frage beschäftigt, wie sich Menschen und Maschinen ähneln, als damit, wie sie sich unterscheiden. Ich schlage vor eine ‚metadigitale‘ Neubetrachtung des technologischen Fortschritts, die für eine humanistischere Nutzung der Technologie eintritt, aber akzeptiert, dass die digitale Revolution noch in den Kinderschuhen steckt und den oben erwähnten Paradigmenwechsel widerspiegelt. Ein Paradigmenwechsel, bei dem der Einsatz von Technologie, insbesondere in der Klangpraxis und in aktuellen künstlerischen Trends, nicht die Überlegenheit und Dominanz des Menschen über die Maschinen demonstriert und auch nicht zeigt, was Menschen können, was Maschinen nicht können. Vielmehr sind sie selbstreflexiv und verdeutlichen etwas, das Menschen und Maschinen eigentlich gemeinsam haben: eine absolute epistemische Grenze der Wissensproduktion selbst.

Aus diesem Grund sind künstlerische Forschung und künstlerischer Ausdruck von größter Bedeutung, denn Künstler betrachten und nutzen neue Technologien auf eine Art und Weise, die die Menschen dazu zwingt, über den konzeptionellen Rahmen, in dem sie Technologie verstehen und zu ihr in Beziehung treten, nachzudenken, ihn zu hinterfragen und zu überdenken.